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30. Juni 2016 | Europäische Union

Schadenfreude an Untergangsszenarien

Meldungen vom politischen und wirtschaftlichen Untergang Großbritanniens sind reine Spekulationen – im Sinne Brüssels

Big Ben mit Nationalflagge Großbritanniens

Foto: visitbritain.com

Ohnmächtige Schadenfreude macht sich am Kontinent über die Reaktionen der Börsen und Finanzmärkte auf das Brexit-Referendum breit. Viel schwieriger als die wirtschaftlichen Folgen des „Brexit“ dürften die politischen werden. Der „Brexit“-Spalt zieht sich nämlich durch alle Parteien – mit Ausnahme der UKIP.

51,9 Prozent der Briten, genau 17,410.742, haben am vergangenen Donnerstag für den Ausstieg ihres Landes aus der Europäischen Union gestimmt und sind damit nun für den Absturz des britischen Pfunds und den Niedergang der Börse verantwortlich. So tönt es aus den verbliebenen EU-Ländern über die aktuellen Folgen der Finanzwetten auf den Ausgang der Volksabstimmung und den Wetten auf die zukünftige Entwicklung.

Kurzfristige Turbulenzen

Doch das sind nur die üblichen, kurzfristigen Turbulenzen an den Börsen sowie kurzfristigen Folgen der Marktumstellungen, die sich in ein paar Wochen wieder fangen werden, wenn sich die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt und Brüssel auf ein vernünftiges „Scheidungsprocedere“ geeinigt haben. Ähnliche Szenarien wurden ja auch schon der Schweiz prophezeit, falls sie nicht der EU beitreten oder sich ihr zumindest bedingungslos angliedern wolle. Aber unsere Nachbarn sind weit weg vom Absturz auf ein Dritte-Welt-Niveau – und die Briten werden diesen auch zu verhindern wissen. In der medialen Ausschlachtung der „Brexit“-Horrorszenarien ist vollkommen untergegangen, dass die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), also die Zentralbank der Zentralbanken, eindringlich vor dem anhaltend niedrigen Produktivitätswachstum, den steigenden Staatsschulden und der starken Reformunwilligkeit in der Wirtschaftspolitik gewarnt hat. Und das sind derzeit die hausgemachten Probleme in der Europäischen Union, aus der die Briten sich verabschieden. 

Neuland „EU-Austritt“

Die Unsicherheit der Märkte resultiert vor allem daraus, dass es kein „historisches Vorbild“ für einen Austritt aus der EU gibt, das Szenario völliges Neuland ist. Und die Finanzmärkte reagieren auf Unsicherheiten nervös bis hysterisch. Es wird darauf ankommen, wie hart Brüssel die Briten bestrafen will. Also, ob es ihnen einen Freihandelsstatus gewähren will wie für Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein und Island. Oder kommt gar nur eine Lösung für „Drittländer“ wie etwa mit der Türkei oder den anderen Ländern der Welthandelsorganisation (WTO) mit wesentlich weniger Handelsvorteilen? Also hat es Brüssel in der Hand, wie sehr es die Briten – aber genauso auch die eigenen EU-Bürger – wirtschaftlich leiden lassen will. „Die Vorstellung, dass der Frieden in Europa durch die europäischen Institutionen garantiert sei, war schon immer barer Unsinn“, versucht der Historiker Robert Cowcroft von der Universität Edinburgh Realitätssinn in die Diskussion zu bringen. Das Hauptargument, die EU zu verlassen, sei für die Briten die Politik der EU gewesen, „ein politisches Projekt, das außer Kontrolle geraten“ sei.

Beschädigte Parteien

Außer Kontrolle geraten sind derzeit auch die beiden führenden Parteien des Landes. Der Chef der Konservativen, Premier David Cameron, hat folgerichtig nach der Abstimmungsniederlage seinen Rücktritt angekündigt. Die Partei war in der „Brexit“-Frage tief gespalten und muss sich jetzt rasch auf einen neuen Parteichef einigen. Nicht nur um die Austrittsverhandlungen mit Brüssel über die Bühne bringen zu können, sondern auch um die innerparteilichen Unruhen zu glätten und Abspaltungstendenzen in Nordirland und Schottland hintanzuhalten. Die innerparteilichen Probleme hat der Chef der Labour-Partei, Jeremy Corbyn, bereits auf die orthodoxe sozialistische Art gelöst. Er hat die Hälfte seines Schattenkabinetts gefeuert, das seinen Führungsstil und sein halbherziges Eintreten für den Verbleib des Landes in der EU kritisiert hatte. Als einziger unbeschädigter Parteichef ist Nigel Farage, Chef der britischen Unabhängigkeitspartei (UKIP), aus der Volksabstimmung hervorgegangen, der seine Politik voll auf den „Brexit“ ausgelegt hat. Der Wähler hat entschieden, jetzt müssen die Parteien sich daran ausrichten. Das ist das Grundprinzip der Demokratie.

NFZ 30.06.2016


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