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„Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig.“

Der Publizist Hendryk Broder im NFZ-Interview zu den Entwicklungen in unserem Nachbarland.

Vor 14 Tagen haben Sie vor der AfD-Bundestagsfraktion im Bundestag geredet, was für gehörigen Wirbel gesorgt hat. Und jetzt bei der FPÖ in Wien…

Broder: … und Sie wollen wissen: Was kommt als nächstes? Vielleicht ein Besuch bei den Taliban?

Eigentlich wollte ich ihre Beweggründe wissen.

Broder: Wissen Sie, wenn ich jemand treffen will, der meiner Meinung ist, dann treffe ich mich mit mir selber. Ich weiß nicht, wie es in Österreich ist, aber wenn Sie in Deutschland auch nur den Sinn der „Willkommenskultur“ in Frage stellen, oder ob der Klimawandel menschengemacht ist, dann sind Sie schon „rechts“. In Deutschland fängt „rechts“ gleich an der östlichen Zimmerwand der CDU-Zentrale in Berlin an. Dahinter lauern Kurz, Kaczynski und Orban. Meine Kollegen schreiben, ich würde „provozieren“, das sei mein Motiv. Ich weiß nicht, woher diese Allergie gegenüber Leuten kommt, die anderer Meinung sind. Diese Situation ist absurd. 

Was ist mit Deutschland los? Stichwort Wirtschaft: Die Banken liegen seit Finanzkrise und Bankenrettung am Boden, der Energiesektor wird mit Atom- und Kohleausstieg Blackout-tauglich gemacht, und mit der Grenzwerte-Wüterei wird jetzt die Automobilindustrie an die Wand gefahren.

Broder: Die Deutschen sind ein psychologisches Phänomen. Ich bin ihr Sisyphos und versuche immer wieder, das Rätsel Deutschland zu lösen. Aber es will mir nicht gelingen. Albert Camus hat einmal über Sisyphos geschrieben, man müsse sich diesen als glücklichen Menschen vorstellen. Ich habe ein paar Versuche unternommen, etwa mit meinem Buch „Erbarmen mit den Deutschen“. Aber die eine schlüssige Erklärung finde ich nicht. Vor Kurzem habe ich in der „Welt“ einen längeren Text mit dem Titel „Deutschland: Größenwahn und Impotenz“ veröffentlicht. Das ist es irgendwie. Aber warum, wieso und weshalb sie so sind? Ich kann es nicht erklären.

Angela Merkel hat 2015 noch überzeugt „Wir schaffen das“ gesagt, jetzt zum Kohleausstieg aber „Wir müssen es wollen.“ Sind das erste Zweifel an der deutschen Sisyphosarbeit zur permanenten Rettung der Welt?

Broder: Zur Erklärung dazu vielleicht ein jüdischer Witz: Sitzt ein alter Jude irgendwo in Galizien in einem Zug. An jeder Station, an der der Zug hält, bricht er in schweres Jammern aus. Irgendwann erbarmt sich dann doch einer der Mitreisenden und fragt höflich, was er habe und ob er Hilfe brauche. Da sagt der alte Jude: „Sie können mir nicht helfen. Ich sitze im falschen Zug, und mit jeder Station wird die Rückreise länger.“ So funktioniert Deutschland. Merkel weiß genau, dass sie Mist gebaut hat. Und wir wissen, dass ihr keiner in die Parade gefahren ist. Die Demokratie schafft sich ab, indem die politischen Entscheidungsebenen immer dünner und schmäler werden, und am Ende hängt alles an der Chefin. Demokratie als „One-Woman-Show“. Man könnte fast meinen, Merkel sei die Rache der DDR an der Bundesrepublik. Aber das ist reine Spekulation.

Ex-Innenminister Thomas de Maiziere hat in einem jüngst erschienen Buch zugegeben, dass man sich der Problematik der Grenzöffnung 2015 bewusst war, aber aus Angst vor der „Stimmungslage“ die Grenze geöffnet hat.

Broder: Es gibt inzwischen viele „Begründungen“ für die Grenzöffnung oder genauer: die unterbliebene Grenzschließung. Die meisten Begründungen, warum „wir Zuwanderung brauchen“, sind zynisch, oder wie wir gerne sagen: „menschenverachtend“. Ich hatte dazu ein Erlebnis mit Frau Grütters, das ist unsere Kulturstaatsministerin. Eine hochintelligente Frau, liberal, gebildet und auch noch gutaussehend. Sie hat mich einmal zum Abendessen eingeladen, und die Rede kam natürlich auf das Thema Flüchtlinge. Ich habe sie gefragt: Wieso macht Deutschland das, und nicht andere Länder. Sind wir anders? Haben wir ein spezielles Gen? Darauf sie: „Unsere moralischen Maßstäbe sind höher als die anderer Länder.“ Ich habe nur erwidert: „Ja, das ist 1933 schon so gewesen“ – und bin gegangen. Das ist Deutschland heute, ein Land im Übermut. Wolfgang Pohrt, der leider vor Kurzem verstorben ist, hat den Satz gesagt: „Der Holocaust verpflichtet die Deutschen, darauf acht zu geben, dass ihre Opfer nicht rückfällig werden.“ Das ist es. „Wir“ haben aus der Geschichte gelernt, fragt sich nur, ob es das Richtige war.

Diesen Drang bestätigt doch auch Frau Merkel, wenn sie behauptet, ihre Entscheidungen seien „alternativlos“.

Broder: Es gibt keine Alternativlosigkeit in der Politik. Das erstaunliche an Deutschland ist, dass es ein paar deutsche Grundsätze gibt, die anscheinend ewig gelten. Etwa: „Wer A sagt, muss auch B sagen.“ Konsequenz ist ein Meister aus Deutschland. Ich war 15 Jahre beim „Spiegel“ und habe in einem Alter, in dem andere in Rente gehen, beschlossen, noch einmal zu starten und zwar bei der „Welt“. Bis auf zwei, drei Ausnahmen waren meine Freunde alle entsetzt. Wie kannst du nur! Bei Springer! Ich habe darauf gefragt: Wann hast du „Bild“ oder „Welt“ zum letzten Mal gelesen? Die Antwort war: „Noch nie!“ Tatsächlich war die „Welt“ vor 30 Jahren ein rechtes Kampfblatt. Heute ist sie die liberalste deutsche Tageszeitung. Die Dinge ändern sich eben. Aber das bekommen die Linken nicht mit. Derzeit sind sie damit beschäftigt, den „Widerstand“ zu leisten, den ihre Großeltern nicht geleistet haben und ein „Viertes Reich“ zu verhindern. Alles Helden im Sandkasten der Geschichte.

Ist das nicht geradezu symbolisch für das Gefangensein der Linken in ihrer Medienblase, in Anspielung auf den Geschichtenerfinder des „Spiegel“, Claas Relotius, eine Relotiunierung der Welt: Man rückt sich die Welt so zurecht, wie man sie gerne haben möchte?

Broder: Genau deswegen bewundere ich den Kollegen. Er hat genau die Welt erfunden, die seine Chefs und seine Leser haben wollten. Wie Karl May es getan hat. Dabei hat er sich – im Gegensatz zu mir – nie den Vorwurf eingefangen, er würde dem Populismus dienen. Jetzt warte ich auf den nächsten Shitstorm. Wie kannst du nur mit Strache! Die Vorstellung, dass sich Dinge ändern, ist dem deutschen Wesen sehr fremd. Trotzdem ist Deutschland eine intakte Demokratie. Das ist eigentlich ein Wunder, oder, wie es die gebildeten Menschen ausdrücken, eine contradictio in adiecto.

Sie haben keinerlei Berührungsängste mit „rechts“?

Broder: Einmal ja, einmal nein. Vor Jahren habe ich Strache aus einem banalen Anlass gedroht, ihm die Fresse zu polieren. Ich kenne seine Geschichte. Menschen ändern sich, die einen werden blöder, die anderen werden klüger. Strache gehört in die zweite Kategorie. Und wenn er Antisemitismus auch in seinem eigenen politischen Umfeld bekämpfen will, soll mir das recht sein. Er will sich damit auseinandersetzen, und das ist in Ordnung so. Wenn mich Haider eingeladen hätte, wäre ich nicht gekommen. Bei ihm war keine Spur von Einsicht zu erkennen, während Strache mit Selbstironie seine Jugendsünden und Fehler betrachtet. Das hat Haider nie geschafft. Aber ich werde deswegen Herrn Strache nicht das Frühstück ans Bett servieren.

Ist das nicht schon ein faschistischer Unterton in dieser Verbotskultur?

Broder: Der Unterton ist totalitär. Wer da nicht mitmacht, ist gleich ein Nazi. Haben die Antifas überhaupt eine Ahnung, was Nazis waren? Was sie angestellt haben? Worum es den Nazis ging? Die „Endlösung der Judenfrage“, die Vernichtung von „lebensunwertem Leben“, die Unterwerfung von Europa? Leute, wisst ihr das überhaupt? Ich fürchte, sie wissen es nicht. Wenn Strache heute ein „Nazi“ ist, dann waren die Nazis damals eine ziemlich harmlose Bande.

Kommen wir zurück zur aktuellen deutschen Politik: Was treibt die ehemaligen Volksparteien CDU und SPD dazu, mit der Umsetzung der Politik der Grünen praktisch Selbstmord auf Raten zu begehen?

Broder: Es gibt ein Buch von Friedrich Sieburg aus den 50er Jahren mit dem schönen Titel „Die Lust am Untergang“. Schon damals stellte Sieburg fest, die Deutschen würden zwischen extremen Zuständen schwanken, Größenwahn und Selbsthass, Provinzialismus und Weltbürgertum. Das ist es. Und da wir gerade in Wien sind: Freud würde sagen: Sie kriegen die Balance zwischen dem Ich, dem Über-Ich und dem Es nicht hin.

Die Parteien sehen doch, dass sie ständig Wähler an die AfD verlieren. Aber statt ihre Politik zu überdenken, beklagen sie nur den Aufstieg der AfD…

Broder: ... und machen die AfD damit groß.

Aber das gleitet doch ins Absurde ab, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis das System kollabiert.

Broder: Ja, und was ich heute noch komisch finde, wird dann brutal.

In den sozialen Medien geht dieses sich lustig machen schon immer öfter in Wut über.

Broder: Ich halte die sozialen Medien für eine schwere Krankheit. Welche Verwüstungen Facebook und Twitter angerichtet haben, wird man erst später merken. Allerdings: Tucholsky hat einmal sinngemäß gesagt: „Das Volk versteht das meiste falsch; aber es fühlt das meiste richtig.“ Die einfachen Leute sehen, es geht etwas schief. Die Realität vor ihrer eigenen Haustür hat mit der Realität, die ihnen eingeredet wird, nichts mehr gemein. Sie fühlen sich zu Recht verarscht.

Und diese Menschen wählen dann AfD und werden von den „Wahlforschern“ als „Modernisierungsverlierer“ abgekanzelt.

Broder: Das ist natürlich totaler Unsinn. Und selbst wenn es so wäre: Die „Modernisierungsverlierer“ sind der Treibstoff der Geschichte. Es wird irgendwann einen Umschwung geben, weil das ein Naturgesetz ist und es kein Pendel gibt, das nur in eine Richtung schwingt. In der DDR hat es 40 Jahre gedauert, im Dritten Reich leider zwölf Jahre zu lange. Das Pendel wird umschlagen, aber es wird nicht das passieren, was wir erwarten. Es wird kein „Viertes Reich“ geben, dafür eine Art Ordnungs- und Überwachungsstaat, in dem Sicherheit wichtiger sein wird als Freiheit. Das zeichnet sich jetzt schon ab.  

Könnte es eine Entwicklung wie in Österreich geben, dass die „guten“ Parteien eine Cordon Sanitaire um die AfD bilden, sie ausgrenzen?

Broder: Auch ohne die AfD sind wir auf dem Weg zu einer nationalen Front, wie es sie in der DDR gab. Wir haben zwei sozialdemokratische Parteien, CDU und SPD, und zwei weitere quasi-sozialdemokratische Parteien, die sich diesem Block annähern, die Grünen und die Linke. Die einzigen die nicht zu dem Block gehören sind die FDP und AfD. Und es gibt diese nostalgische Vorstellung in Deutschland, dass man mit drei Parteien, CDU/CSU, SPD und FDP, gut gefahren ist. Das müsste doch reichen. Leute, schaut euch Belgien, Holland, Italien, Israel oder welches Land auch immer an! Wir wollen überall diversifizieren. Die Ehe für alle, 70 verschiedene Geschlechter und in jedem Café zwölf verschiedene Toiletten, nur in der Politik soll alles bleiben, wie es ist! Nur keine Experimente! Aber auch das wird eines Tages aufhören, und Deutschland wird wieder auf dem Boden der Wirklichkeit ankommen. Man kann nur hoffen, dass es keine Bruchlandung wird. 

Henryk Modest Broder, Journalist und Publizist, geboren 1946 in Katowice/Polen, kam 1958 mit seinen Eltern über Wien nach Köln. Nach Arbeiten für die Frankfurter Rundschau, die taz, die ZEIT und den SPIEGEL kommentiert er jetzt das Weltgeschehen in der WELT und dem Blog achgut.com. Für Furore sorgte Broder mit der 2010 entstandenen fünfteiligen Dokumentation „Entweder Broder – Die Deutschland-Safari“, zusammen mit dem Islamkritiker Hamed Abdel-Samad, die noch auf youtube.com nachzusehen ist.


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