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23. März 2018 | Europäische Union

„Die EU hat keine Migrationspolitik – und das ist beängstigend“

Für den Politikwissenschafter Bassam Tibi schützt die EU die Islamisten aber nicht die Demokratie.

Sie fordern von Europa eine verantwortliche Politik, keine Gesinnungsethik und erst recht keine Flüchtlingsromantik ein. Können Sie das erklären?

Tibi: Max Weber unterscheidet in dem Aufsatz „Politik als Beruf“ zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Gesinnungsethik beruht auf der Moralisierung der Probleme. Das tun Linke und Grüne, und herauskommen dabei Lösungen, die nicht brauchbar sind. Ein Verantwortungsethiker versucht rational Lösungen zu finden. Die Flüchtlingsproblematik ist ein Weltproblem: Es sind derzeit rund 65 Millionen Menschen auf der Flucht, darunter 12 Millionen Syrer. Dieses Problem kann ein Europa allein nicht lösen.

Im europäischen Ansatz zu dem Problem sehen Sie wenig Rationalität?

Tibi: Die Europäische Union gibt vor, Flüchtlingspolitik zu machen. Aber sie hat kein Konzept für den Umgang mit Flüchtlingen. Die EU hat keine Sicherheitspolitik, keine Migrationspolitik, keine Außenpolitik – und das ist beängstigend.

Jetzt sind diese – großteils – moslemischen Flüchtlinge schon in Europa. Sie fordern eine Reform des Islams unter der Akzeptanz der europäischen Werte.

Tibi: Das ist eine Vision. In Deutschland arbeiten die Politiker mit den organisierten Islamverbänden zusammen, die aus dem Ausland gesteuert werden. Da wollten die Deutschen etwa, dass Kinder im Ramadan nicht fasten. Sofort hat der türkische Verband DITIB eine Fatwa aus der Türkei und die Schiiten haben eine aus Teheran geholt. Was mit den Moslems in Europa passiert, entscheiden daher nicht sie selbst oder ihre Verbände, sondern Saudi-Arabien, Iran oder die Türkei.

Weshalb kann ein gläubiger Moslem einen säkularen Staat nicht anerkennen und darin leben?

Tibi: Es gibt eine einflussreiche Islam-Interpretation, die besagt: Der ist Isam ist ehr als nur Religion. Es kann kein Moslem nur privat den Koran befolgen und in der Öffentlichkeit Österreicher sein. Das lehnen die Vertreter des organsierten Islam ab. Sie sagen: Der Islam ist eine Weltanschauung und hat politische Ansprüche. Ich vertrete die Idee, dass Moslems nur als Individuen integriert werden können, ohne die Islam-Verbände. Denn mit diesen bestimmen Ankara, Riad oder Teheran, was Integration ist.

Wie sieht ihr europäische Islam aus?

Tibi: Eine klare Trennung von Religion und Staat. Der Mensch ist in erster Linie ein Bürger des Landes und Moslem – aber nicht Mitglied der islamischen Umma. Das lehnen die Islamverbände ab. Einen Vertreter der IGGiÖ, der mir das gesagt hat, habe ich gefragt: Sie wollen in Europa leben, aber sie lehnen Europa ab? Wie soll das gehen? Ich erhielt keine Antwort.

Kann das überhaupt funktionieren?

Tibi: Ich habe in den letzten 40 Jahren in 22 islamischen Ländern gearbeitet. Es gab zwei Länder, die Anlass zur Hoffnung gaben: die Türkei und Indonesien. Aber beide Modelle sind von Islamisten zerstört worden.

Sehen Sie die EU auf einem Weg, wie ihn der französische Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem Roman „Die Unterwerfung“ beschrieben hat?

Tibi: Ich war im Herbst 2017 bei einem Treffen hochrangiger Politiker zentralasiatischer und kaukasischer Staaten, um über den „Islam im modernen säkularen Staat“ zu diskutieren. Im Gegensatz zur EU haben sie erkannt, der säkulare Saat ist durch den Islamismus gefährdet und der säkulare Staat muss dagegen vorgehen. Aber die EU schützt nicht den säkularen Staat, sondern die Islamisten im Namen der Verteidigung der Menschenrechte. Im Kampf gegen den Islamismus muss man aber eine Balance finden zwischen der Verteidigung der Menschenrechte und der des säkularen Staates. Aber diese Balance sehe ich in Europa nicht. Wenn die Europäer bei dieser Diskussion unter Moslems über den Islamismus dabei gewesen wären, hätten sie uns wohl völlig entrüstet als islamophob abgekanzelt.

 

Zur Person:

Bassam Tibi ist ein deutscher Politikwissenschafter syrischer Herkunft. Von 1973 bis 2009 war er Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Göttingen. Er hatte zahlreiche Lehr- und Forschungsaufenthalte an ausländischen Hochschulen, zuletzt vor allem in den USA (Cornell und Yale).


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